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Vortrieb für grüne Wasserkraft-Energie

Wasserkraft ist eine Schlüsseltechnologie für die erfolgreiche globale Energiewende. Beim Bau von Wasserkraftwerken wird auf der ganzen Welt Herrenknecht-Vortriebstechnologie aus Schwanau eingesetzt. Auch ambitionierte Wasserkraftwerk-Projekte werden sicher und zügig mithilfe innovativer Vortriebslösungen umgesetzt.

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Auf diesen Durchbruch fieberten selbst die erfahrenen Tunnelbauer an Bord der Tunnelbohrmaschine in besonderer Weise hin: Am 3. Oktober 2022 um circa 16 Uhr Ortszeit erreichte TBM S-1319 nach rund drei Monaten Vortrieb die Zielkaverne des Projekts „Limberg 3“ tief im Mergelschiefer der Hohen Tauern südlich von Salzburg. Als der Bohrkopf zum Stillstand gekommen war und das erste Teammitglied wenig später durch das Mannloch kletterte, brach Jubel unter den Anwesenden aus.

„In diesem Moment fiel die Anspannung vieler Monate von uns ab“, erzählt Herrenknecht-Projektmanager Steffen Wiedemer, der den gesamten Vortrieb vor Ort begleitet hat. „Diese Mission wollte ich unbedingt aus der Nähe erleben.“

Eine besondere "Kletterpartie"

Diese Mission war eine „Kletterpartie“ tief im Berg, die auch Tunnelbauer nicht alle Tage erleben: Rund drei Monate lang hatte eine 105 Meter lange Gripper-Maschine mit einem Durchmesser von 5,8 Metern und einem Gewicht von fast 1.000 Tonnen einen 770 Meter langen Schrägschacht mit einer Steigung von 42 Grad errichtet.

Zum Vergleich: Die Bergisel-Skisprungschanze in Innsbruck weist ein Gefälle von nur 35 Grad auf. 42 Grad lassen sich eher mit dem Winkel zwischen der Längsseite und den Schenkeln eines Geodreiecks vergleichen. „Ein so steiler Anstieg stellt die Maschine und somit das ganze Team vor extreme Herausforderungen“, so Wiedemer.

Technologie für steile Aufstiege

Die Gripper-TBM S-1319 unterscheidet sich von anderen TBM dieses Typs. Sie ist so konstruiert, dass sie unter keinen Umständen durch den von ihr errichteten Schacht zurück- und abrutschen kann. Aus diesem Grund verfügt die Maschine über drei Verspannebenen, die sich gegen die Tunnelwand pressen.

„Zwei dieser Gripper halten die TBM in jeder Phase des Vortriebs fest“, erläutert Wiedemer. Zudem handelt es sich bei zwei von drei Verspannebenen um sogenannte Rückfallsicherungen, die im Prinzip wie Widerhaken funktionieren: Bei der kleinsten Rückwärtsbewegung der TBM würde sie sich mechanisch verkeilen. „Sollte die Hydraulik infolge eines kompletten Blackouts ausfallen, hält sich die Maschine auf diese Weise automatisch selbst im Tunnel fest“, so Wiedemer.

Für zusätzliche Sicherheit sorgt die Tatsache, dass jede der drei Verspannebenen stark genug ist, um die TBM allein im Fels zu halten. „Ein Hinabgleiten im Schacht wird damit absolut zuverlässig ausgeschlossen“, sagt Steffen Wiedemer.

Große Bandbreite an technologischen Herausforderungen

Die diagonale Fahrt im Felsen bringt weitere Herausforderungen mit sich, die bereits beim Design solcher Maschinen berücksichtigt werden müssen. Beispielsweise können die Schneidrollen von innen getauscht werden, sodass niemand vor der Ortsbrust tätig werden muss. Zudem lässt sich der komplette Steuerstand stets ins Lot bringen, egal wie schräg die Maschine steht.

Für Sicherheit sorgt auch eine verschlossene Abraumrinne, in der das herausgebrochene Material bergab in die Startkaverne rutscht. Von dort werden Mannschaft und Material mit einer Art Gondel zur Maschine gefahren. Und noch etwas erinnert an eine Klettertour: „Alles, was herunterfallen könnte, wird mit Karabinerhaken gesichert“, erzählt Steffen Wiedemer.

Bei Projekten in unwegsamem Gelände ist das Baugrund-Erkundungsprogramm besonders anspruchsvoll und eine weitere Herausforderung. „Bei Tunneln werden bereits in der Planungsphase Erkundungsbohrungen durchgeführt“, sagt Dr.-Ing. Karin Bäppler, Head of Business Development, Business Unit Traffic Tunnelling, bei der Herrenknecht AG. Bei jedem Tunnelprojekt bestehe das Risiko, auf unvorhergesehene Baugrundbedingungen zu treffen. Die vergangenen Projekte hätten allerdings gezeigt, dass diese Risiken beherrschbar seien.

Fahre die Maschine etwa durch Störzonen, das heißt Bereiche, die durch strukturelle Veränderung eines Gesteinsverbands charakterisiert sind, lasse sich der weitere Weg der TBM stabilisieren, indem ein spezielles Injektionsmaterial in den Fels gepresst werde. „Mithilfe solcher Injektionen lässt sich eine problematische Geologie in der Regel so weit stabilisieren, dass ein sicherer Vortrieb möglich ist“, sagt Karin Bäppler.

„Ein Anstieg von 42° stellt die Maschine
und somit das ganze Team vor extreme
Herausforderungen.“
 

Steffen Wiedemer, Project Manager, Herrenknecht AG

Herrenknecht-Pioniere für extreme Anstiege

Mit der Entwicklung der TBM für „Limberg 3“ hat Herrenknecht einmal mehr Pionierarbeit im maschinellen Tunnelvortrieb geleistet. Dabei konnten die Ingenieure in Schwanau auf Erfahrungen aus vorhergehenden Wasserkraftprojekten mit extremen Anstiegen zurückgreifen.

Bereits 2010 errichtete eine Herrenknecht-TBM mit einem Durchmesser von 5,12 Metern einen Druckstollen mit einer Steigung von rund 41 Grad für das Projekt „Limmern“ im Schweizer Kanton Glarus. 2021 begann der Bau eines Druckstollens mit einer Steigung von knapp 42 Grad für das Projekt „Ritom“ im Schweizer Kanton Tessin. Und seit Sommer 2023 errichtet eine TBM mit einem Durchmesser von 11 Metern einen für diesen Durchmesser rekordverdächtigen Schrägschacht mit einer Steigung von 25 Grad für das Projekt „Snowy 2.0“ im Süden Australiens.

Eine tragende Säule der Energiewende

„Wir merken, dass die Projekte ambitionierter werden“, sagt Bäppler, die Kunden bereits in frühen Phasen der Planung und Konzeption berät. Der Grund für die wachsende Nachfrage nach Wasserkraftwerken liegt auf der Hand: Der Ausbau regenerativer Energiequellen ist dringend notwendig, wenn die globale Klimakrise wenigstens abgemildert werden soll. So haben sich 197 Staaten der Welt auf der UN-Klimakonferenz von Paris im Jahr 2015 das Ziel gesetzt, die Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad Celsius zu begrenzen. Mittlerweile haben 191 Staaten das Übereinkommen von Paris ratifiziert.

Auch wenn die politische Weichenstellung die globale Energiewende beschleunigt: Bemühungen, die Wasserkraft als Energiequelle auszubauen, gab es schon vor dem Pariser Abkommen in zahlreichen Ländern der Erde. Und nicht immer geht es dabei um steile Schächte mit großem Durchmesser. Dass es auch ein paar Nummern kleiner geht, zeigt das Projekt Val d’Astico in der norditalienischen Provinz Vicenza. Dabei handelt es sich um ein Kleinwasserkraftwerk, bei dem ein Herrenknecht-HDD-Trailer-Rig zum Einsatz kam. Die Maschine verlegte im Rahmen einer knapp einen Kilometer langen Bohrung eine 8-Zoll-Edelstahlpipeline und bewältigte dabei einen Höhenunterschied von 450 Metern.

Weltweite ambitionierte Wasserkraft-Projekte

Bei anderen Projekten sind größere Maschinen im Einsatz, dafür muss weniger Steigung bewältigt werden. Von 2009 bis 2011 errichtete eine Doppelschild-TBM mit einem Durchmesser von 4,62 Metern einen 12,4 Kilometer langen Zulauftunnel für das 80-Megawatt-Wasserkraftwerk Palomino in der Dominikanischen Republik, das 2012 ans Netz ging.

Ein noch größeres Projekt wurde 2012 in Ecuador in Angriff genommen. Hier schufen zwei baugleiche Doppelschild-TBM mit einem Durchmesser von 9,11 Metern einen fast 25 Kilometer langen Zulauftunnel für das Wasserwerk „Coca Codo Sinclair“ mit einer Leistung von 1.500 Megawatt. Es wurde 2016 in Betrieb genommen und produziert rund 30 Prozent des landesweiten Strombedarfs. Das Werk spielt eine zentrale Rolle für Ecuadors Pläne, den Anteil der Wasserkraft am landesweiten Energiehaushalt auf rund 90 Prozent zu erhöhen.

Auch die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union haben sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Sie wollen die EU bis 2050 zur ersten klimaneutralen Gesellschaft machen. Österreich, das Land, in dem das Kraftwerk „Limberg 3“ derzeit gebaut wird, geht sogar noch einen Schritt weiter und strebt die Klimaneutralität bis 2040 an. Schon jetzt stammen bis zu 67 Prozent der Stromproduktion des Alpenlands aus Wasserkraftwerken. Auch im Kapruner Tal wird abwärtsfließendes Wasser bereits seit knapp siebzig Jahren in Strom umgewandelt; doch der Anteil der Erneuerbaren muss weiter steigen, und deshalb müssen zusätzliche Wasserkraftwerke errichtet werden.

„Wir merken, dass die Projekte ambitionierter werden. Da der Ausbau regenerativer Energiequellen dringend notwendig ist, wenn die globale Klimakrise wenigstens abgemildert werden soll.“
 

Dr. Dipl.-Ing. Karin Bäppler,
Head of Business Development, Business Unit
Traffic Tunnelling, Herrenknecht AG

Limberg 3: Kraftwerk und grüne Powerbank

2025, wenn „Limberg 3“ den Betrieb aufnimmt, wird Wasser aus einem Stausee im Kapruner Tal durch einen Stollen zu dem steilen Druckschacht geführt, den die Herrenknecht-TBM errichtet hat. Durch diesen Schacht wird es in die sogenannte Kraftkaverne – so groß wie das Innenschiff des Wiener Stephansdoms – hinabstürzen und zwei 240-Megawatt-Turbinen antreiben. Anschließend fließt das Wasser in einen weiteren Stausee ab und weiter ins Tal.

Der Charme eines solchen Pumpspeicherkraftwerks: Es funktioniert auch in umgekehrter Richtung. Wenn etwa durch Photovoltaik oder Windkraft mehr Strom zur Verfügung steht, als benötigt wird, können die mächtigen Turbinen das Wasser wieder in den höher gelegenen Stausee hinaufpumpen. Er fungiert somit als gigantische grüne Powerbank. „Limberg 3“ wird als Teil der Kraftwerksgruppe Kaprun einen bedeutenden Beitrag zur Netzstabilität in Österreich leisten.

Wer die blaue Kraft, aus der hier grüner Strom gewonnen wird, erfahren will, kann den schwindelerregenden Klettersteig an einer der Talsperren aufsteigen. Entlang von raffiniert verlegten Tritten, Griffen und Seilen geht es hier sagenhafte 107 Meter steil bergauf. Vom Kamm der Staumauer aus werden Sie saftgrüne Hänge, türkisblaue Stauseen und schneebedeckte Gipfelketten erblicken. Die Zukunft der Energieversorgung ist in vielerlei Hinsicht sensationell.

Autor

Mathias Becker

ist Textchef der Corporate-Publishing-Agentur Behnken, Becker + Partner. Becker beschäftigt als Autor, wie technische Innovationen den gesellschaftlichen Fortschritt befördern. Für Herrenknecht hat er bereits über den Eurasia-Tunnel in Istanbul und die Hochgeschwindigkeitstrasse „High Speed 2“ in England berichtet.

Bildquelle Bühne: © Marti AG

Ihre Ansprechpartner Kontaktieren Sie uns

Steffen Dubé President and General Manager Herrenknecht Tunnelling Systems USA Inc.
Gerhard Goisser Commercial Manager Herrenknecht Tunnelling Systems USA, Inc.