Future Perspectives

Das Zeitalter der Menschen: Welches Erbe hinterlassen wir?

Infrastrukturen aus dem 19. Jahrhundert prägen unsere Städte bis heute.
Im Vergleich, was wird das Vermächtnis der heutigen Bauindustrie sein?
Und werden künftige Generationen dieses Erbe zu schätzen wissen -
oder werden sie uns verfluchen?

Lesezeit: 10 Minuten

Lassen Sie mich mit einem Blick zurück ins Mittelalter beginnen. Für die Menschen umfasste damals die gesamte Geschichte des Weltalls von der Schöpfung bis zur Apokalypse nur wenige Tausend Jahre. Sie waren verwirrt und hilflos angesichts von Flutkatastrophen und Seuchen und darum anfällig für irrationale Ängste. Große Teile der Erde waren „Terra incognita“, unerforschtes Land.

Zugleich waren die damaligen Menschen großartige Architekten und Baumeister. Sie schufen Kathedralen, errichtet von Maurern mithilfe primitiver Technologie, die wussten, dass sie die Fertigstellung nicht mehr erleben würden – gewaltige und glorreiche Gebäude, die uns auch Jahrhunderte später noch inspirieren.

Doch was wird einst die Inspiration kommender Generationen in den nächsten Jahrhunderten sein? Ich bin Astronom, lassen Sie mich also zunächst die kosmische Perspektive wählen. Die Erde existiert seit rund 4,5 Milliarden Jahren. Lange Zeit schienen die Ressourcen, die uns die Natur gewährte, unerschöpflich. Auch die größten Schrecken, die den Menschen drohten – Fluten, Erdbeben, Krankheiten – entsprangen der Natur.

Wir leben heute in einem Jahrhundert, in dem die Menschen erstmals als dominante Spezies über die Zukunft der gesamten Biosphäre bestimmen, im Guten wie im Schlechten. Erdgeschichtlich befinden wir uns also mitten im Anthropozän.

Die größten Bedrohungen der Menschheit sind nicht mehr natürlichen Ursprungs, sie werden von uns selbst verursacht oder verschärft. Der immer tiefere kollektive Fußabdruck der Menschheit ist zur Kulisse geopolitischer Herausforderungen geworden.

Rund acht Milliarden von uns bevölkern heute den Planeten – doppelt so viele wie noch in den 1960ern. Unser gemeinsamer Bedarf an Energie und Ressourcen kann ohne neue Technologien nicht nachhaltig befriedigt werden.

Neuartige Bio- und Cybertechnologien transformieren die Gesellschaft und können immense Schäden anrichten, wenn sie falsch angewandt oder missbraucht werden.

Die globale Erwärmung beeinflusst alles

Über uns allen schweben die Gefahren des menschengemachten Klimawandels. Es ist wie ein globales Fieber, in mancherlei Hinsicht einer Zeitlupenversion der Corona-Pandemie nicht unähnlich. Beispielsweise verschärfen beide Krisen das Ausmaß der Ungleichheit zwischen, aber auch innerhalb von Staaten.

Klimawandel und Umweltzerstörung werden mit hoher Wahrscheinlichkeit im Laufe dieses Jahrhunderts globale Folgen haben, die weitaus ernster sind als die Folgen einer Pandemie und die darüber hinaus für lange Zeit unumkehrbar sind. Aber eine potenzielle Zeitlupenkatastrophe mobilisiert weder Öffentlichkeit noch Politik. Es bestehen nur geringe Anreize für Politiker, sich um langfristige Risiken zu kümmern, die während ihrer Amtszeit kaum auftreten werden und die sich global statt lokal auswirken.

Wir sind uns also der Gefahren bewusst, aber nicht in der Lage, geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen, weil die schlimmsten Auswirkungen jenseits des Zeithorizonts politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen liegen. Im Vereinigten Königreich gibt es das Sprichwort vom Frosch im Kochtopf, der sich im warmen Wasser wohlfühlt, bis es irgendwann plötzlich zu spät ist. Ich denke, das beschreibt unsere Situation recht gut.
 

Dank der sogenannten grünen Revolution wurde die Nahrungsmittelproduktion in den vergangenen fünfzig Jahren bereits verdoppelt. Nun muss die Produktion bis zum Jahr 2050 ein weiteres Mal verdoppelt werden, um die wachsende Bevölkerung überall ausreichend ernähren zu können. Diese zweite Verdopplung erweist sich dabei als problematischer als die erste.

Es existieren Beschränkungen in Bezug auf Energie, fruchtbare Böden und Wasserversorgung. Was wir brauchen, sind effiziente landwirtschaftliche Methoden, die unter veränderten klimatischen Bedingungen wassersparend und ohne Bearbeitung des Bodens (Direktsaat) ertragreiche Ernten produzieren und zudem die natürlichen Wälder nicht beeinträchtigen.

Auch der Fischfang muss erhöht werden, ohne dass es dadurch zu Überfischung und zur Ausrottung bedrohter Arten kommt. All dies in Verbindung mit größeren Anstrengungen zur Müllvermeidung und verbesserter Bewässerung.

Das Schlagwort zu all dem lautet „nachhaltige Intensivierung“.
 

Die Wissenschaft auf Rettungsmission

Eine gute Nachricht gibt es jedoch: Die Wissenschaft kann den Fahrplan in eine kohlenstoffarme Zukunft anbieten, die allen nutzt und in der sich auch der Bauindustrie große Chancen bieten. Staaten sollten darum die Forschung und Entwicklung aller Formen kohlenstoffarmer Energie vorantreiben – und darüber hinaus für alle Technologien, bei denen Fortschritte in dieselbe Richtung wesentlich sind.

Speichertechnologien sind beispielsweise entscheidend, wenn wir uns auf das schwankende Potenzial von Sonnen- oder Windenergie verlassen möchten. Integrierte und weitreichende Energienetze mit geringen Transportverlusten müssen ebenfalls in Erwägung gezogen werden, um Solarenergie aus sonnenreichen Regionen in weniger sonnige Gebiete bringen zu können.

„Der immer tiefere kollektive
Fußabdruck der Menschheit
ist zur Kulisse geopolitischer
Herausforderungen
geworden.“

All das zu erreichen erfordert visionäre Kraft, Entschlossenheit und öffentlich-private Investitionen in einem Umfang wie zu Zeiten des Eisenbahnbaus im 19. Jahrhundert. In der Tat ist die vollständige Transformation der weltweiten Infrastruktur für Energie und Transport ein kolossales Bau- und Ingenieursvorhaben, das unweigerlich Jahrzehnte dauern wird.

Wind- und Solarenergie werden in Zukunft großflächig eingesetzt, aber auch Geothermie, Wasser- und Gezeitenkraft füllen wichtige Nischen im Energiemix. Sowohl Gezeitensperren als auch Gezeitenlagunen erscheinen praktikabel. Das Kapital, das für die langfristigen und umfangreichen Erdarbeiten aufgewendet werden muss, wird sich erst über viele Jahrzehnte hinweg amortisieren.

Wie sieht es mit der Kernenergie aus? Trotz der Zwiespältigkeit weitverbreiteter Atomkraft könnten sich weitere Forschung und Entwicklung im Hinblick auf kleine, modulare Reaktoren der vierten Generation als lohnenswert erweisen, haben Letztere doch das Potenzial, flexibler und sicherer zu sein als die bestehenden Reaktoren.

Auch die Kernfusion lockt noch immer als unerschöpfliche Energiequelle, die auch die Sonne mit Energie versorgt. Die Versuche, sich diese Energie zunutze zu machen, reichen zurück bis in die 1950er. Seither hat die Kernfusion schon mehrere trügerische Morgendämmerungen erlebt, die sich dann eher als fliehender Horizont herausstellten. Eine kommerzielle Nutzung erscheint heute noch mindestens dreißig Jahre entfernt. Die meisten Prototypen setzen auf starke Magnete, um Gase bei mehreren Millionen Grad Celsius zu verdichten – so heiß wie im Zentrum der Sonne. Trotz der Kosten und ganz erheblicher Herausforderungen ist der mögliche Gewinn so groß, dass sich die Weiterentwicklung mit Sicherheit lohnt.

Echte technologische Durchbrüche in den Bereichen Energiegewinnung, Speicherung und intelligente Stromnetze sind notwendig, um die Entwicklungskurve der weltweiten CO₂-Emissionen nach unten zu biegen.

„Was wir brauchen, sind effiziente
landwirtschaftliche Methoden,
die unter veränderten klimatischen
Bedingungen wassersparend und
ohne Bearbeitung des Bodens
ertragreiche Ernten produzieren
und zudem die natürlichen Wälder
nicht beeinträchtigen.“

Da mein Fachgebiet die Erforschung des Weltraums ist, frage ich mich natürlich, wie fünfzig Jahre nach der letzten Apollo-Mission die Zukunft der Raumfahrt aussehen könnte. Weltraumtechnologie ist heute allgegenwärtig. Wir verlassen uns täglich auf sie, sei es bei der Satellitennavigation, der Datenübertragung oder der Wettervorhersage. Roboter haben in der für Menschen feindlichen Umgebung des Weltalls die größten Anwendungsmöglichkeiten und verursachen dort auch die wenigsten Probleme.

Zwei Dinge haben sich kaum verändert: der menschliche Körper und die Raketen der NASA. Während aber Roboter mit besseren Sensoren und künstlicher Intelligenz ausgestattet werden, sinkt der Bedarf an Astronauten. Noch in diesem Jahrhundert wird das gesamte Sonnensystem von Flotten winziger Roboter erkundet werden. Hoch entwickelte Bauroboter werden in der Lage sein, große Strukturen im Weltall oder auf dem Mond zu errichten – gigantische Teleskope zum Beispiel oder Kollektoren für Solarenergie.

Der wichtigste Unterschied zwischen der Apollo-Ära und der Mitte der 2020er besteht in unseren erstaunlichen Fähigkeiten, Erkundungsroboter zu entwickeln, ins Weltall zu befördern und dort zu leiten. Ein gutes Beispiel hierfür sind die Mars-Rover. Perseverance, der neueste Suchroboter der NASA, ist in der Lage, selbst mit eingeschränkter Führung von der Erde durch felsiges Marsgelände zu fahren.

Weitere Verbesserungen der Sensorik und künstlichen Intelligenz werden es den Robotern ermöglichen, selbstständig interessante Stellen zu identifizieren, an denen Bodenproben gesammelt und zurück zur Erde geschickt werden sollen.

Dasselbe gilt für den Abbau seltener Mineralien. Harrison Schmidt ist einer der beiden bislang letzten Menschen, die den Mond betraten und dort mit einem Buggy umherfuhren. Als Senator tritt er heute für den massiven Abbau von Helium-3 auf dem Mond ein, um es als Brennstoff für Fusionsreaktoren zu nutzen.

Einige Unerschrockene auf der Suche nach Nervenkitzel könnten bis zum Jahr 2100 bereits von der Erde unabhängige Mondbasen errichtet haben. Eine Massenauswanderung von der Erde sollten wir aber nicht erwarten. Es ist eine gefährliche Illusion zu glauben, dass das Weltall einen Fluchtweg vor den Problemen der Erde bietet. Mit dem Klimawandel auf der Erde fertig zu werden ist ein Kinderspiel verglichen mit Terraforming auf dem Mars. Es gibt keinen Planeten B für normal risikoscheue Menschen. Wir sollten unsere Erdenheimat also wertschätzen.

„Mit dem Klimawandel
auf der Erde fertig zu
werden ist ein Kinderspiel
verglichen mit Terraforming
auf dem Mars.
Es gibt keinen Planeten B
für normal risikoscheue
Menschen. Wir sollten
unsere Erdenheimat
also wertschätzen.“

Kosmische Supermächte – aber kein Planet B

Nichtsdestotrotz sollten wir und ebenso unsere Nachkommen den mutigen Weltraumabenteurern Beifall zollen, denn ihnen wird eine entscheidende Rolle als Speerspitze einer posthumanen Zukunft zukommen. Sie werden mit darüber entscheiden, was im 22. Jahrhundert und noch weit darüber hinaus geschieht. Den Grund dafür will ich gerne erläutern.

Die ersten Weltraumpioniere werden an ihren neuen Lebensraum schlecht angepasst sein. Sie werden daher dringlichere Anreize als wir hier auf der Erde haben, sich selbst neu zu gestalten. Sie werden dazu die extrem leistungsfähigen Technologien der Genetik und Cyborg-Technologie nutzen, die in den nächsten Dekaden entwickelt werden. Dies könnte der erste Schritt zur Entwicklung einer neuen Spezies Mensch sein. Es werden also die Raumfahrer sein, die die Speerspitze des posthumanen Zeitalters bilden, nicht wir, die wir bequem an das Leben auf der Erde angepasst sind.

Doch das Leben auf dem Mars oder auf dem Mond wäre ungemütlich. Es gibt dort keine Atmosphäre, in der Menschen atmen können, und sie wären gefährlicher Strahlung sowie extrem unterschiedlichen Temperaturen ausgesetzt. Ihr Leben müssten sie darum im Untergrund verbringen. Ich glaube kaum, dass man sie auf der Erde beneiden würde.

Was wird aus der Welt und den Menschen?

Wir können nicht verlässlich vorhersagen, welche transformativen Entdeckungen bis dahin gemacht sein werden und welche verblüffenden Technologien sie hervorbringen mögen. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Wohlstands- und Ressourcenunterschiede zwischen dem reichen Norden und dem globalen Süden verringern werden – eine Entwicklung, die massive Anstrengungen beim Bau neuer Infrastrukturen erfordern wird.

Ein gutartiges Zukunftsszenario

Ein harmloses Zukunftsszenario würde einen großen Teil jeder Weltregion nah an seinem ursprünglichen Zustand belassen und zumindest den heutigen Bestand an Arten- und Pflanzenvielfalt erhalten. Die Energie würde aus sauberen Quellen kommen und alle Industrieproduktion wäre so schadstoffarm wie möglich. Tatsächlich könnte ein Teil der Fertigung sogar im Weltall stattfinden.

Es gäbe ein unterirdisches Netzwerk von Glasfasern und Kabeln, die Energie und Informationen transportieren und zugleich hohe Sicherheit und Redundanz bieten. Wasser würde, wo immer möglich, über große Distanzen bis in die Dürregebiete jeder Region gepumpt.

Damit sich in Zukunft die umfassende Nutzung der Kernspaltungsenergie zur Bewältigung der Grundlast durchsetzen kann, muss zuerst das Problem der Entsorgung der radioaktiven Abfälle gelöst werden, indem große Endlagerstätten gebaut werden.

Wo immer das möglich ist, sollten Gebäude langlebig konstruiert sein. Bei kurzer Lebensdauer sollten sie aus recycelten oder wiederverwendeten Materialien bestehen.
 

Ein düsteres Zukunftsszenario

Aber es gibt auch ein entgegengesetztes Szenario, das sehr viel verhängnisvoller erscheint: Unsere Generation könnte – durch schlechte Planung und fehlende Voraussicht in diesem Jahrhundert – unseren Nachkommen eine Welt hinterlassen, die noch immer von fossilen Brennstoffen abhängig ist. Weiter steigende CO₂-Emissionen könnten zu einem stark veränderten Klima geführt haben, das an verschiedenen Kipppunkten irreversible Schäden ausgelöst hat.

Große Gebiete unserer Küstenstädte müssten aufgrund des steigenden Meeresspiegels evakuiert werden. Zu den wichtigsten Bauprojekten der Welt würden Küstenschutzbauten und Deiche zählen, die uns vor dem Wasseranstieg und vor heftigeren Stürmen schützen sollen.

Es ist ausschlaggebend, dass die Regierungen unserer Länder dafür sorgen, dass wir einmal gute Vorfahren werden und den künftigen Generationen ein positives Erbe mitgeben, anstatt den bereits erreichten Fortschritt zu zertrümmern und nur eine kahle und zerstörte Biosphäre zu hinterlassen.

Autor

Lord Martin Rees, Prof. em.; Ph.D.

ist Astrophysiker und der Königliche Astronom des Vereinigten Königreichs. Rees ist spezialisiert auf die Erforschung des Weltraums, die Hochenergie-Astrophysik und die Kosmologie. In seinem jüngsten Buch "If Science is to Save Us" erklärt er, warum wir Wissenschaft und Technologie verstehen müssen, um als Menschheit und künftige Generationen zu überleben.

Bildquelle Bühne: © Gary Campbell-Hall / Wikipedia

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